Die Lautlose Suche

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  Tagebücher 

Verwischte Spuren ...

ich weiß, wo ich herkomme
aber wer weiß, wo ich hingehe ... ?

Jürgen Schaller, September 1997

.... Rom - Florenz - Venedig - Cavallino

2. - 12. September 1997


Dienstag, 2. September

Abfahrt pünktlich um 20:15 Uhr vom Hauptbahnhof Fürth. Hab meinen Tramperrucksack zum Bahnhof geschleppt und festgestellt, dass die 15 kg plus die 5 kg Handgepäck doch recht anstrengend sind.

Die Fahrt durch Nürnberg erinnert mich an so viele Dinge in der Vergangenheit. Kurz vor'm Plärrer die Kneipe in deren Keller wir unseren Proberaum mit der Band hatten. Mann ist das lange her. Und dann an der Plärrerampel die "Rita-Brehm-Ecke". Ha Ha - Das war eine Episode. In dem Augenblick hatte ich mich entschlossen, nach Rom zu fahren. Und so sitz ich jetzt im Bus auf dem Weg in die Wiege der europäischen Kultur und auf der Suche nach mir selbst, nach Abstand, Ruhe, Klarheit und vielleicht nach Erkenntnis. Ich hab echt keine Ahnung, was die nächsten 2 Wochen mir bringen ... aber jede Menge Hoffnungen.

Hab vor meinem Aufbruch noch im Gang bei meinen Eltern ein Gebet gesprochen - Ich denke, ich werde Gottes Segen brauchen können !

 

"Ave Roma - Io vengo !"

 

Mittwoch, 3. September

Nach einer durchaus angenehmen Busfahrt durch halb Italien erreichen wir gegen 11 Uhr Rom. Hab abgesehen von der Tatsache, dass ich krüppelkrumm gelegen bin, ganz gut und viel schlafen können. Hab mir vorgenommen, heute Nachmittag gleich auf die Suche nach einem Nachfolgehotel zu gehen.

Da wir nach der Ankunft noch auf die Zimmer warten mussten, bin ich zusammen mit einem Mädchen aus Nürnberg (Martina) auf erste Erkundung gegangen.

Wir waren auf dem Petersplatz und hatten Glück: Es war Papstaudienz und wir haben den heiligen Vater winken sehen. Sind dann noch fast 2 Stunden durch die Stadt gegondelt, Piazza San Pietro, Castel Sant' Angelo und wieder zurück.

Das Zimmer ist so die unterste Grenze des Erträglichen. Kein Wunder, dass es keinen Zuschlag gekostet hat. Immerhin funktioniert die Klimaanlage, das ist bei dem heißem Wetter hier in Rom echt notwendig.

 

Kurz auf dem Zimmer ausgeruht und geduscht. Bin dann losgezogen um ein Hotel zu suchen. Mit der U-Bahn (Metropolitana) zur Stazione Termini. Hab dort einen sehr freundlichen Info-Service getroffen, der versucht hat, mir ein Hotel zu vermitteln. Aber Rom ist entweder ausgebucht oder sehr teuer. Ich überlege, ob ich nicht umdisponiere.

Auf dem Rückweg bin ich in den Petersdom gegangen. Ich finde keine Worte für diese gigantisch atemberaubende und einzigartige Kathedrale. Gleich am Eingang rechts steht Michelangelo's "Pieta" in einer Kapelle. Bin ganz langsam auf sie zu ... und es war wie Heimkommen - Wahnsinn !

Hab weder ein Foto geschossen noch ein Wort gesprochen. Bin dann etwa eine Stunde durch die Kirche gelaufen, ganz langsam und bedächtig. Von allen Kirchen, die ich bisher gesehen habe, ist sie fürwahr die Königin. Bin danach ziemlich benommen über den Petersplatz gelaufen und hab mich total von der Umgebung entrückt und versunken in die Säulenhalle gesetzt und gelesen.

Zurück ins Hotel. Heute abend ist Lichterfahrt durch das nächtliche Rom. Ich freu mich schon drauf.

Lichterfahrt und ausgedehnter Spaziergang durch die römische Altstadt. Piazza Venezia, Fontana di Trevi, Span. Treppe. Sehr eindrucksvoll !!

Um 23:30 ins Bett. Rom ist bevölkert von furchtbar vielen schönen Frauen. Jedesmal wenn eine Schönheit an mir vorbei geht und blöd oder arrogant schaut, denk ich mir: Was hab ich doch für tolle Frauen, die mich lieben !

 

Donnerstag, 4. September

Stadtrundfahrt von 9 - 16 Uhr. Piazza Venezia, Foro Romano, Colosseum, S. Paolo fuori de mura, Cattacombe Domitilla, Caracalla Thermen, Via Appia, Petersplatz und Petersdom.

Zum 2. Mal im Petersdom gewesen. Er übt auf mich eine ungeheure Faszination aus. Ich kann nur ganz langsam und in Ehrfurcht durch den Dom schreiten und all das aufsaugen, was meine Sinne aufnehmen können. Habe den Fuß der Statue des heiligen Petrus berührt und ein Dankgebet gesprochen, dafür, dass ich hier sein darf. Vorne vor dem Altar in der Apsis hab ich mich auf eine Bank gesetzt und gebetet.

 

 

Auf der Kuppel gewesen. Der Blick von der Empore in der Kuppel (auf Höhe des Tambours) ist überwältigend. Die riesigen Statuen, der Hochaltar und die Bodenmosaiken wirken von hier oben total winzig. Von ganz oben hat man den ultimativen Blick über Rom.

Hab mich kurzfristig entschlossen, die Fahrt nach Frascati mitzumachen. Hatte einen recht schönen Abend mit den 3 Mädels Martina, Sylvia und Sandra. Haben uns von der Gruppe abgesetzt und waren in einem netten Restaurant mit Blick auf Rom. Hatte Gelegenheit, mein Italienisch anzuwenden - na ja - es geht so ...

Als Hahn im Korb unter 3 Frauen, der als einziger ein bisschen italienisch kann, war echt witzig. Hab mich von einem Straßenhändler breitschlagen lassen und den Ladies 3 Rosen gekauft. Das brachte mir ein liebes Dankeschön und vom Busfahrer den Titel "Rosenkavalier" ein. HAHA. Wir hatten uns auf jeden Fall toll amüsiert, während der Abend für den Rest der Truppe wohl eher mau war. Noch mal HAHA. Wir waren auch die einzigen, die auf der Heimfahrt im Bus gelacht haben - der Rest war totenstill.

Freitag, 5. September

Den ganzen Tag in den Vatikanischen Museen gewesen. Von all der Vielfalt ist es kaum machbar, auch nur einen Bruchteil mitzunehmen. War mit Martina unterwegs. Auf dem Rundgang hab ich mir die für mich interessanten Dinge genauer angeschaut: "Galleria Carte Geografiche" den Saal der Landkarten, eine lange Halle mit Landkarten von allen Teilen Italiens. Bemerkenswert ist dabei, dass keine der Karten genordet ist. Ich glaube, dass sie alle aus der Sicht von Rom gezeichnet wurden. Hat mir echt gut gefallen.

"Raffaels Stanzen" eine Reihe sehr schön gestalteter Räume. Gemälde sind sehr schön in die Räume integriert. Beeindruckende Szenen von Märtyrern, Schlachten oder geschichtlichen Ereignissen.

Und dann die "Sixtinische Kapelle" - Michelangelo pur. Trotz der 1000 Leute schlägt es einen voll in seinen Bann. Bei der Betrachtung der Schöpfungsgeschichte an der Decke muss man aufpassen, dass man keine Genickstarre bekommt. Wir haben uns danach mit 2 "Kunstprofis" in der Cafeteria unterhalten, die meinten: Michelangelo ist eine Klasse für sich - er ist genial in jeder Hinsicht - man darf ihn nicht mit anderen Künstlern vergleichen, weil neben ihm keiner bestehen kann. Und so ist es wirklich. Die Eingliederung der Decke in den Raum, der Übergang zu den Seitenwänden, die Darstellung der Figuren mit soviel Leben und Bewegung, das ist in der Tat einmalig. Ebenso das jüngste Gericht, man steht ewig davor und findet immer neue Einzelheiten und kleine Szenarien, die jede für sich eine Geschichte erzählen.

Auf dem Rückweg dann in die Pinakothek und noch das Museo Pio Clementino angeschaut. Letzteres ist eine umfangreiche Skulpturensammlung (Laokoon-Gruppe).

Hab mich dann mittags von Martina getrennt und bin nochmals in die "Kartensammlung" und die Sixtinische Kapelle gegangen.

Alles in allem war ich über 6 Stunden in den Vatikanischen Museen. Danach 1 Stunde in der Peterskirche gewesen. Hab die lateinische Inschrift unterhalb der Galerie und der Kuppel abgeschrieben. Mal sehen, ob ich sie übersetzen kann. hihi.

Heim ins Zimmer und eine Stunde geschlafen. Bin dann um 19:15 Uhr losgezogen und zum Campo dei fiori gelaufen. Hab mich dort in ein Lokal auf der Piazza gesetzt und war nach kurzer Zeit von 6 jungen Damen umringt. 4 Australierinnen und 2 aus Kalifornien. Haben uns gut unterhalten. Deutsch und englisch und italienisch mit den Kellnern. Ein internationaler Abend ! Das eine Mädchen aus Kalifornien konnte sehr gut deutsch und will in München ein Jahr studieren.

Zurück ins Hotel und noch bis um 0:30 Uhr auf dem Zimmer von Sylvia und Sandra gewesen und Rotwein getrunken. hihi. Bisher hab ich nur Frauen getroffen.

Samstag 6. September

Morgens ziemlich platt gewesen. Hab noch mit Sylvia und Sandra gefrühstückt und bin dann allein in die Stadt gezogen. Museo Borghese (war leider schon ausverkauft), San Pietro in Vincoli (Michelangelo's Moses, Ketten des Petrus), Colosseum, Piazza Venezia, Santa Maria in Aricoeli, Museo Campidoglio (Marc Aurel Statue), Pantheon, Fontana di Trevi, Spanische Treppe und last but not least ... Petersdom, was sonst ... 7 Stunden zu Fuß - heim ins Bett, ne Stunde geschlafen und dann wieder in die Stadt - Piazza Navona - recht malerisch aber teuer.

Ach ja, was mir grade noch so einfällt: Ein Italiener ohne Handy ist nur ein halber Italiener.

Irgendwie fühle ich, dass mir noch der Geist zum Schreiben fehlt ... ich sehe mich im Augenblick eher als Berichterstatter, der zwar jede Kleinigkeit festhält, aber keine Seele in seine Worte legen kann.

Ich hoffe, das ändert sich noch.

Wie ich den Leuten im Bus erzählt habe, dass ich länger in Rom bleibe und dann noch nach Florenz und Venedig fahren will, haben alle gesagt: oh toll - das würde ich auch gern machen ... hihi ... aber machen tut's keiner ! Und ein bisschen hab ich bei dem einen oder anderen auch den Neid hindurchgehört. Das sind dann Momente, die bringen mir echt viel, weil ich mir sagen kann: Machen würde es vielleicht mancher, aber nur ich tu es jetzt !!! STARK ! Jetzt versteh ich es langsam, es ist gar nicht so schwer: Wie oft sagt man sich: Ich will dies tun oder das, aber man macht es nicht.. Mach's einfach, wenn's dir danach ist !

Ich sitz grad auf der Piazza Navona am Brunnen und schau auf die asiatische Frau, die schon seit einiger Zeit versucht, den Leuten irgendwelche Spielsachen anzudrehen. Wenn die immer gleich aufgeben würde wenn einer "Nein" sagt, oder sie sich sagen würde: "kauft ja doch keiner was", dann müsste sie verhungern. Sie macht es einfach und lässt nicht locker.

HA HA HA ... Nach Rom fahren kann jeder, sich auf irgendeiner Piazza herumdrücken und gemeinsam herumschlendern und dann erzählen, wie romantisch und toll Rom ist, das kann auch jeder, aber wer setzt sich schon allein auf die Piazza und hat 'nen schönen Abend. HAHAHA

Danke Andrea !!

Wanderer, hast du schon mal die Engelsburg in der Nacht gesehen ? Wenn sie sich im Tiber spiegelt ? Und aus ihrem Hof 4 Lichtbündel in den Himmel schießen, in alle Richtungen schwenken um sich dann wieder zu vereinigen ?
Nein ? Dann solltest du es einmal erleben ... !!

Bist du schon mal nachts auf dem Petersplatz gewesen ? Wenn sich gerade mal 100 Leute auf dem ganzen Areal verlieren ?

Bist du schon mal von dem Obelisken in seiner Mitte nach außen auf den Punkt hin gewandert, von dem aus du nur noch eine Säulenreihe siehst und die hinteren verschwinden (Centro del Colonnato) ?

Hast du schon mal den Petersplatz in Stille von außen betrachten dürfen ?

.... glaub mir, ich hab mich gefühlt, als wär ich eins mit der Welt !!

Sonntag, 7. September

Messe im Petersdom besucht. war leider etwas spät dran und hab nur noch einen Stehplatz bekommen, den allerdings in der ersten Reihe. Die Messe wurde in Latein abgehalten und die Lesungen und Fürbitten waren teilweise italienisch, spanisch, englisch, polnisch und deutsch. Zum Abendmahl wurden alle vorgelassen. Ein Abendmahl im Petersdom ist fürwahr keine alltägliche Angelegenheit. War während des gesamten Gottesdienstes ziemlich eingekeilt zwischen all den Gläubigen, so dass mir das Wasser sprichwörtlich in Strömen am Körper herunter gelaufen ist. Trotzdem hatte ich eine Gänsehaut, als die Priester einmarschiert sind, der Chor zu singen und die Orgel zu spielen begannen. Danach heim ins Hotel, geduscht und wieder auf den Weg gemacht.

Mit der U-Bahn nach San Giovanni in Laterano, einer der 4 Patriarchal-Basiliken und die eigentliche Hauptkirche Roms. In dieser Basilika werden die Totenschädel von Petrus und Paulus als Reliquien aufbewahrt. Im Langhaus stehen 12 Kolossalstatuen der Apostel, die an St. Peter erinnern. Auch der Hochaltar ist dem Petersdom nachempfunden. Die Fassade ist vollkommen von einem Gerüst verhüllt, so dass ich die Kirche fast nicht gefunden hätte.

Danach zu Fuß zu Santa Maria Maggiore, einer weiteren Patriarchalkirche. Sie ist die größte Marienkirche überhaupt.

Die Innenausstattung mit viel Gold und "Geschnörksel" war nicht ganz so mein Geschmack. Trotzdem hat sie ein paar schöne Seitenkapellen und unter der Vierung eine beeindrukkende Papststatue, sowie einige Bretter der Krippe von Betlehem als Reliquie (?).

Danach etwas müde und indisponiert durch Rom geschlendert. Von Termini zur Piazza Venezia, weiter zum Teatro di Marcello und schließlich am Tiber entlang, über die Insel Tiberia zurück ins Hotel. Hundemüde gewesen, wie immer eine Stunde geschlafen und um halb acht wieder in die Stadt gegangen. Auf der Piazza della Chiesa Nuova ein kleines schnuckeliges Lokal gefunden (Mit einer süßen Bedienung - hihi) und zu Abend gegessen.

Morgen ist wieder ein wichtiger Tag für mich. Ich fahr aufs Geratewohl nach Florenz und hab noch kein Quartier. Bin echt gespannt, wo es mich hinverschlägt. Eigentlich bin ich bis jetzt noch gar nicht dazu gekommen, über mich nachzudenken. Andererseits, die Zeit dafür wird kommen..

Da fällt mir spontan der Spruch ein:

 

"Nichts auf der Welt ist so mächtig, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist !"

Die Bedienung ist wirklich süß ...So nebenbei fällt mir auf, dass ich heute (wohl zum 1. Mal) in einem Restaurant sitze wo (außer mir) keine Touristen sind. Jetzt müsste ich nur ein bisschen besser Italienisch können. Ich kann auf jeden Fall viel beobachten. Was mir auffällt ist, dass viele Italiener eine nach außen hin recht oberflächliche Lebensart haben. Sie sind zwar gut angezogen, haben eine stolze Haltung, aber man legt doch Wert auf bestimmte Statussymbole; Man hat im Lokal das Handy mit dabei und telefoniert ungeniert eine ganze Zeit, während alle anderen am Tisch sitzen.

Haha - soeben hat mich meine Zeichensprache im Stich gelassen. Ich wollte zu meinem Capuccino noch einen 2. Zucker und hab der Bedienung den Zuckerbeutel hingehalten und mit dem Daumen noch einen weiteren angezeigt. Und sie hat gedacht, ich lobe den Capuccino und hat gegrinst und "grazie" gesagt. Haha - aber der Capuccino ist echt prima - es passt also schon !!

Hatte ich schon gesagt, dass sie süß ist ? Sie hat mir nachgewunken !! hihi

Ich soll Bilder mitnehmen ... eines nehm ich auf jeden Fall mit: 

Die Engelsburg bei Nacht spiegelt sich im Tiber und ein lauer Wind weht mir ins Gesicht, während ich auf der "Ponte Vict. Emman. II" stehe. Das ist DAS Bild, das ich von Rom mitnehme und das letzte Foto, das ich in Rom schieße.

Wer mit mir zusammen leben will sollte wissen, dass ich ihm oder ihr niemals ganz allein gehören kann. Ein Teil von mir wird immer auf der Suche, auf der Wanderschaft bleiben. Auf der Suche nach mir, nach der Wahrheit, der Schönheit ... nach Gott !

Und offen für Menschen, die meinem Inneren in irgendeiner Weise nahekommen. Ich suche diese Menschen nicht direkt, ich finde sie einfach. Weil sie sich finden lassen ohne gesucht zu werden !

Und ich danke Gott für diese Fähigkeit. Es darf keinen Besitzanspruch eines Menschen auf einen anderen geben !! Denn das ist ein Gefängnis. Lieben heißt auch ... loslassen. Ich weiß genau, dass ich das erst lernen muss ... ich weiß es, weil ich spüre, dass ich es auch brauche, dieses Losgelassenwerden !!

Spontaner Gedanke: Ich stehe noch immer auf der Tiberbrücke und schaue auf die Engelsburg und mir fällt der Spruch ein: "Ich suche allerlanden eine Stadt, die einen Engel vor den Toren hat !" Grazie Roma !!

Hab gerade einem Italiener auf italienisch erklärt, wo der Petersplatz ist - WOW

Der Rotwein verbrennt meine Angst, ich muss lernen, sie zu besiegen ohne ihn.

Montag, 8. September

Den Rucksack zur U-Bahn geschleppt. Mann-o-mann, hätte ich doch nicht so viel mitgenommen. War am Bahnhof klitschnaß von der Schlepperei. Im Zug zufällig einen Düsseldorfer kennengelernt, der auf dem Weg nach Orvieto war und da ein Haus hat. War 'ne nette Unterhaltung. 

Ankunft in Florenz pünktlich um 13:45 Uhr. Bin dann ins Hotelreservierungsbüro direkt am Bahnhof und hab auf Anhieb ein günstiges Hotel mit Bad gefunden. Hatte ich übrigens auch auf meiner Liste. Aufs Zimmer, geduscht und kurz ausgeruht. Dann in die Stadt gelaufen, Geld getauscht und ein bisschen eingekauft. Zurück aufs Zimmer und total platt gewesen. Hab ca. 2 h gedöst und geschlafen, war richtig erschossen. Um halb acht wieder in die Stadt. 

Hab mich mittlerweile dran gewöhnt, allein abends in die Stadt zu laufen und es macht mir nichts mehr aus. Florenz ist ein bisschen wie heimkommen. Ich kenne vieles noch vom letzten Mal. Bin auch ohne irgendein Ziel gelaufen und fast automatisch auf der Piazza d. Signoria rausgekommen. Verglichen mit Rom wirkt Florenz richtig familiär, die Leute haben einen anderen, nicht so stolzen Blick. Wenngleich die Art der Römer auch ihren Reiz hat.

Allein in Florenz ist aus einem anderen Grund ein blödes Gefühl. Es kollidieren Erinnerung und Traum und übrig bleib nur ich .... Da werd ich selbst was draus machen !

 Hab an der Piazza d. Signoria gut gegessen, hatte aber unfreundliche Bedienung.

Dienstag, 9. September

Lang geschlafen. Zu Fuß in die Stadt. Santa Maria Novella (schöne Kirche mit berühmten Bildern von Masaccio und Ghirlandaio, aber viele Touristen). Dann weiter zu den Medici-Kapellen. Die Grabkapelle ist mit ihrer düsteren Atmosphäre durch den dunklen Marmor sehr stimmungsvoll. Die Sarkophage sind gewaltig und wirken auf den Betrachter ! In der neuen Sakristei dann die Grabmäler von Giuliano und Lorenzo de Medici mit den berühmten Marmorskulpturen von Michelangelo: Morgen und Abend (Lorenzo) und Tag und Nacht (Giuliano). War von der "Nacht" schwerst beeindruckt. Die Darstellung eines Frauenkörpers in wunderbarster Form. Bin eine dreiviertel Stunde geblieben und habe das Gedicht "Giuliano" geschrieben (s. Anhang).

Florenz ist, verglichen mit Rom, ungefähr doppelt so voll. Wahrscheinlich verläuft sich in Rom die Menge nur besser. In Florenz konzentriert sich alles eben doch auf "nur" wenige Sehenswürdigkeiten. Die Eintrittspreise sind verglichen mit Rom, auf jeden Fall exorbitant hoch.

Kurz eine Pizza gegessen und für 2 Stunden zurück auf's Zimmer, um der Hitze zu entgehen. Gegen halb vier wieder zurück in die Stadt. San Lorenzo, Orsanmichele und dann den Dom angeschaut. So großartig und beeindruckend die Fassade ist, so schmucklos und fast langweilig ist sein Inneres. Weiter geschlendert Richtung Santa Croce.

Hab fast ein bisschen Angst gehabt, Santa Croce würde beim 2. Mal ebenso ernüchternd sein wie der Dom. Weit gefehlt. Es ist und bleibt DIE Kirche für mich in Florenz. Hab mir das Grabmal des Michelangelo diesmal genauer angeschaut. Die Darstellung der trauernden Bildhauerei und der Architektur hat mich echt berührt. Überhaupt habe ich eine Schwäche für solche idealisierten Frauengestalten, wie z.B. Allegorien oder eben die trauernden Skulpturen an Grabmälern. Gleiches gilt für die Frauengestalt am Grabmal Rossini's. Hab dann oft das Verlangen, diese Skulpturen zu berühren und tu's auch ....schmacht ... ! Vielleicht hab ich doch 'nen Knall - hihihi.

Danach ins Kino gegangen. "Der englische Patient" in Originalfassung. Hat mir auch beim 2. Mal wirklich gut gefallen. Und hab auch wieder an den gleichen Stellen weinen müssen. Ich liebe Filme, die meine Gefühle so sehr aufwühlen.

Durch's nächtliche Florenz heimgeschlendert. In der Altstadt waren noch viele Leute unterwegs und Gaukler gaben sich auf den Piazze ein Stelldichein. Das sind dann Momente, in denen ich gerne eine Frau (nicht irgendeine, sondern eine, die mich liebt und ich sie natürlich) bei mir hätte. Aber Florenz steht diesmal im Zeichen der Einsamkeit. Die hat ja in vielen anderen Beziehungen auch was für sich und darum bin ich froh. Aber halt nicht immer .....

Mittwoch, 10. September

Morgens die Uffizien besucht. Da die Schlange der wartenden Besucher so lang war, wie die Uffizien selbst (ca. 80 m), hab ich mich unauffällig vorne eingeordnet (hört, hört) und bin auch nach 10 min drin gewesen.

 

 

 

 

 

 

Die Uffizien in einem Wort: Bilder - Bilder - Statuen - Bilder. Sehr viele berühmte und auch beeindruckende Werke (Botticelli, Michelangelo, Dürer, ...). Obwohl ich nun so langsam meinen kulturellen Sättigungspunkt erreiche, merke ich doch, dass ich immer mehr Zugang zu Kunstwerken, spez. zu Bildern, bekomme. Hab mir auch eine gewisse Sichtweise angeeignet, mit der ich Bilder anschaue. Manchmal gehe ich auch mehrmals zu einem Werk, verdaue es sozusagen häppchenweise. Vor allem erkenne ich jetzt die Entwicklung der Malerei über die Jahrhunderte und in den verschiedenen Ländern. Dürer z.B. malt zeitgleich in einem ganz anderen Stil, als z.B. die italienischen Maler. Mein Geschmack liegt eindeutig im italienischen Stil.

Von den Skulpturen ist die "Medici'sche Venus" wohl die berühmteste, sie steht im Saal "Tribuna". Hab mir's nicht verkneifen können, ihr über den Po zu streichen - hihi. Nach fast drei Stunden raus und über den Ponte Vecchio ans andere Arno-Ufer zum Palazzo Pitti und den Boboli-Gärten. War 3 Stunden unterwegs. Ergebnis: Ein Bild (!) und der Anfang eines Gedichtes über das seltene Wunder, Zeit zu haben (s. Anhang). Soviel Zeit, wie ich im Augenblick für mich allein verbringe, hab ich wohl noch nie gehabt. Und immer ist da so ein schlechtes Gewissen, das mir einredet, ich vergeude sie, ich müsste doch mehr nachdenken usw.

Es ist schon in Ordnung, so wie ich es mache. 

Andererseits ich werd der Einsamkeit langsam überdrüssig. Ich nehme jeden Tag so viele Eindrücke auf, die ich mit jemandem teilen, sie bereden möchte. Und alles, was ich machen kann, ist, sie in dieses Tagebuch zu schreiben, so dass sie nicht ganz verloren gehen. Einige dieser Eindrücke trage ich ohnehin in mir, sie haben sich in mein Inneres eingebrannt....

Die Domfassade von Florenz ist wirklich die schönste, die ich je gesehen habe. Im Zusammenspiel mit dem Campanile von Giotto und der Kuppel von Brunelleschi im Hintergrund lässt mich der Anblick nicht mehr los. Gerade der 3-farbige Marmor rot-weiß-grün gibt der ohnehin schon klar gegliederten Fassade noch zusätzliche geometrische Klarheit. Im Gegensatz zu anderen Fassaden, die vielleicht auch sehr verziert und gestaltet sind, führt dieses Wechselspiel der Farben bei Santa Maria dei Fiori dazu, dass die Details besser voneinander abgegrenzt werden können, somit auch eigenständig zur Geltung kommen. Für mich ist es diese Farbgebung, die verhindert, dass die Fassade überladen wirkt.

Wie gut geht’s mir eigentlich ? Ich hab doch echt alles, was man sich denken kann.
Gesundheit - Familie - Wohlstand - Ansehen - Bildung - ein paar Fähigkeiten ...

Warum bin ich unzufrieden ? Reicht mir das alles nicht ? Was will ich denn noch ?

Hab ich nicht schon mehr, als für jeden normalen Menschen selbstverständlich sein kann ?

Fragen über Fragen ....

 

Donnerstag, 11. September

Ewig nicht aus den Federn gekommen und nur Blödsinn geträumt. Zu Fuß zur Galleria della Accademia. Auch hier, wie bei den Uffizien, eine lange Schlange von Menschen. Diesmal war ich nicht ganz so frech, mich ganz vorne reinzumogeln, aber immerhin in die Mitte - hihi. 

Das Herzstück der Accademia, und auch der Grund für meinen Besuch, ist der Saal von Michelangelo. Dort steht, neben den 4 Sklaven, die ursprünglich für das Grabmal Julius II vorgesehen waren, und dem Fragment einer Pieta, der David, die Skulptur der Renaissance schlechthin. Und was soll ich sagen, sie schlägt einen voll in ihren Bann. 5 m groß auf einem Sockel stehend, schon 100 x auf irgendwelchen Bildern, in Souvenir-Shops oder bestenfalls als Kopie gesehen und jetzt in Natura. Er ist gigantisch. Die Feinheit seiner Körperteile, die Darstellung der Muskulatur, in der Spannung steckt, der Moment vor dem Zweikampf. Und genau diese Emotionen, die den jugendlichen Krieger in diesem Augenblick bewegen, die sind in seinem Blick zu sehen. Furcht - vor dem riesenhaften Gegner, Stolz - auf sich und sein Volk, Wut - über die Demütigung, die es durch Goliath und dessen Stamm erfahren musste und schließlich Entschlossenheit. Die Entschlossenheit, diesem Gegner die Stirn zu bieten. Und im Vertrauen auf Gott und seinen Mut liegt seine linke Hand leicht und doch gespannt auf seiner linken Schulter und hält die Schleuder, die er über den Rücken trägt. Und seine Rechte scheint einen Stein zu halten, sowie das andere Ende der Schleuder. Die Grazie seiner rechten Hand, bis ins kleinste Detail hinein, zeigen noch einmal die Konzentration des jungen Kriegers und seine Entschlossenheit.

Mit Sicherheit eines der Highlights meiner Italienreise. 

Noch ein weiterer Saal war interessant, eine Sammlung von Gipsmodellen, mit deren Hilfe später Marmorskulpturen geschaffen wurden. Einige der Modelle hab ich schon im Original gesehen, z.B. den Raub der Sabinerinnen von Giambologna (Loggia dei Lanzi). Aus der Nähe betrachtet hat dieses Werk eine ganz andere Dynamik, die anmutige und kräftige Darstellung seiner 3 Figuren macht tiefen Eindruck.

Danach weiter zur Piazza d. SS. Annunziata. Konnte in die Kirche nur einen kurzen Blick werfen, weil gerade Gottesdienst war. Nebendran steht das "Ospedale degli Innocenti" das sog. Findelhaus. Dort wurden 400 Jahre lang an einem hölzernen Fenster Findelkinder anonym abgegeben und in eben diesem Findelhaus aufgenommen. Hab mich dann auf die Piazza vors Findelhaus gesetzt und das Reiterstandbild von Ferdinand dem Großen abgezeichnet. Ist mir schon deutlich besser gelungen, als mein erster Versuch gestern.

Danach zu Fuß an Santa Croce vorbei über den Arno und hinauf zur Piazzale Michelangelo. Die Sonne brüllt nur so ... !! Von hier aus hat man einen wunderschönen Blick über ganz Florenz. Mitten auf der Piazzale steht eine (weitere) Kopie des David umgeben von den 4 Skulpturen der Medici-Sarkophage: Morgen, Abend, Tag und Nacht. Es war mir somit nochmal vergönnt, meine neue Liebe, "die Nacht", zu sehen. Wenn auch nur eine vom Wetter arg gebeutelte Kopie.

Noch hochgelaufen zur Kirche San Miniato. Schön ! Es sollte die letzte Kirche dieses Florenzaufenthalts sein. 

Am Rückweg über den Ponte Vecchio geschlendert und all die Geschäfte der Goldschmiede und Juweliere ausgiebig inspiziert. Hab mich dabei spontan entschlossen, einen Tag früher abzureisen und dafür das gesparte Geld in Goldgeschenke zu stecken. Hab ich auch getan. Hab soviel wie nie zuvor für Schmuck ausgegeben. WOW. Ich hoffe, man weiß es zu schätzen. Nein ... darauf kommt's gar nicht an. Es hat mir Spaß gemacht auszusuchen und zu verhandeln.

Am Rückweg dann noch für mich ein bisschen eingekauft und aufs Zimmer gegangen, gezahlt und den (ach so schweren) Rucksack gepackt. Will den Zug morgen früh um 7:18 Uhr nehmen. Dann bin ich gegen 13:00 Uhr in Cavallino.

Ich ziehe jetzt und hier in diesem Moment ein erstes Resümee meiner Reise ...

Sie war in dieser Form und auch von den Erlebnissen her einzigartig. Es war für mich eine neue Erfahrung. Ich bin froh und auch ein bisschen stolz, dass ich mich getraut habe, allein loszuziehen. Es gibt sicher noch vieles, was ich besser machen will, ich will endlich lernen, auf andere Menschen mehr zuzugehen. Doch ich sehe dies als ersten Schritt in einer für mich ungeheuer wichtigen Entwicklung.

Freitag, 12. September

Morgens um 7:18 Uhr den Zug nach Venedig genommen. Hab im Abteil 2 Amerikaner getroffen und mich während der ganzen Fahrt recht nett mit ihnen unterhalten. Beide waren (unabhängig voneinander) auch mit dem Rucksack unterwegs durch ganz Europa. Später ist dann noch eine junge Sizilianerin zugestiegen, die das ganze Abteil unterhalten hat. Das war echt komisch, wir haben englisch und italienisch kreuz und quer geredet.

Ankunft in Venezia - Santa Lucia um 11:30. Dann zu Fuß zum Marcusplatz (schnauf, schlepp) und die Fähre nach Punta Sabbioni genommen. Von da aus mit dem Bus nach Cavallino. War gegen 13:00 da. 

Die Überraschung ist mir echt gelungen. Bin mitsamt dem Rucksack zuerst zum Bungalow, war aber keiner da. Dann vor zum Wohnwagen. Hab mich dann vor den Zaun gestellt und am Strand Alina und Danny gesucht, während meine Eltern hinter mir in Seelenruhe das Essen hingemacht haben, ohne mich zu sehen - hihi.

Erst im Weggehen hat mich meine Mutter aus dem Augenwinkel gesehen und erkannt. Die beiden waren echt überrascht, mich zu sehen und haben sich gefreut. Bin dann mitsamt dem Rucksack runter zum Strand und zu Danny. Hab mich direkt neben sie gestellt, bevor sie mich gesehen hat. Und dann war auch sie sprachlos....

Vor allem Alina hat sich total gefreut .. die hat den ganzen Nachmittag immer wieder gesagt: "Mein Papa ist wieder da !" und es allen Nachbarn erzählt. Das hat mir so gutgetan. Aber auch die Danny hat sich gefreut, vor allem, weil sie mich viel später erwartet hat. Ich hab dann mein "Einzelzimmer" im Bungalow bezogen und hoffe, dass jetzt noch ein paar schöne Tage kommen, in denen wir alle unseren Urlaub ausklingen lassen können.

Das Tagebuch endet hier !

Die Zeit, in der ich allein war und viel nachdenken wollte und konnte ist vorbei. Ich werde wohl auch in den nächsten Tagen noch einiges zum Nachdenken haben und dies ggf. auch aufschreiben. Vor allem möchte ich aber das angefangene "Zeit-Gedicht" vollenden und vielleicht gelingt mir ja noch das eine oder andere ...

Danke Gott für Alles !

Jürgen Schaller
September 1997

 Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist