Die Lautlose Suche

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  Tagebücher 

Venedig im Herbst

Venedig ist fast wie heimkommen. Die Fahrt von Punta Sabbioni durch die Lagune zum Lido und dann weiter bis zur Piazza San Marco hab ich schon so oft gemacht, aber immer noch genieße ich jede Minute. Meistens ist es ein wenig dunstig und der Blick über die kleinen Inseln der Lagune ist getrübt. s scheint fast, als Venedig sich dem ankommenden Reisenden nicht sofort offenbaren will. Am liebsten hab ich es, wenn das Wetter richtig schlecht ist und Nebel und Wolken tief hängen. Dann herrscht hier eine fast mystische Atmosphäre. 

Langsam schälen sich die Umrisse der Lagunenstadt aus dem Nebel, zuerst der Campanile, dann die Konturen von San Giorgio Maggiore zur linken Santa Maria della Salute von vorne und der Markusplatz zur rechten. Wenn es auf den Booten nicht zu voll ist und ich einen Platz außen an der Reling bekomme oder gar einen Sitzplatz, dann nutz ich die Zeit um meine Gedanken durchhängen zu lassen, von Venedig zu träumen, von den vielen Erinnerungen die ich an diese Stadt habe. Von den Träumen, die noch in meinem Kopf wachsen und von der Vergangenheit. 

Der Vergangenheit, in der all die Kirchen, Paläste und Kunstschätze erdacht und geschaffen wurden. Ich denke mir dann immer, dass es eine Zeit war, in der sich die Menschen noch mehr Zeit genommen haben.

Architektur und Kunst waren nicht nur Selbstzweck, sondern waren Mittel, um die Liebe zu Gott, Ehrfurcht, Dankbarkeit aber auch Stolz und Wohlstand auszudrücken. Es ist vielleicht ein Fehler, diese Zeiten zu verklären, denn das Leben war wohl schwieriger, härter und ungerechter damals. aber die Fahrt nach Venedig ist für trotzdem eine Zeitreise. Ich tauche ein ins Mittelalter und schlendere von Kirche zu Kirche, entlang der Kanäle, vorbei an all den Palästen, durch kleine schmutzige Gassen von Piazzale zu Piazzale und versuche die Touristen und die Zeichen der Zivilisation zu übersehen. Das klappt ganz gut, wenn man die Zeit gut wählt. September oder später, kein Wochenende, schlechtes Wetter und Venedig gehört mir ....

Von der Piazza San Marco Richtung Westen durch das viertel (sestiere) San Marco bis zur Accademia-Brücke. Diese Brücke ist eine von dreien, die über den Canal Grande gehen. Weiter ins Stadtviertel Dorsoduro, vorbei am Accademia-Museum und 

der Guggenheim-Galerie zur Basilica Santa Maria della Salute, einem der Wahrzeichen Venedigs. 

Baldassare Longhena erhielt 1630 vom Senat den Auftrag, die Kirche zum Dank für das Ende der Pestepidemie in Venedig zu bauen. Sie wurde 1687 (5 Jahre nach Longhena's Tod) geweiht. Der Hauptraum ist ein Oktagon mit darüberliegendem Tambour (hat schöne hohe Fenster) und einer Kuppel von der ein einsamer Leuchter fast bis zum Boden hängt. Sechs Seitenkapellen (3 links und 3 rechts) mit Bildern von Luca Giordano und Tizian (Pfingsten). Der Hauptaltar trägt eine Marmorgruppe mit einer allegorischen Darstellung der Hl. Maria, wie sie die Pest vertreibt. In der Sakristei sind Werke von Tizian zu sehen. Es ist wirklich eine imposante Kirche.

Venedig: Santa Maris della Salute

Weiter zur Chiesa Gesuati, meiner Lieblingskirche in Venedig. War geschlossen - was für eine Enttäuschung. Und mittlerweile kostet es Eintritt !!. Ich fand's einerseits ein wenig daneben, Eintritt für eine Kirche zu zahlen, andererseits versteh ich, dass man Gelder braucht, um diese Kunstwerke zu erhalten. Also ich hätt' die L3000 auf jeden Fall bezahlt.

Accademia: Carvaggio: Ursula-Zyklus

Bin dann weiter zur Galeria dell Accademia und spontan in die Ausstellung rein. Anfangs war ich ein ein wenig enttäuscht, aber nach und nach hat's mir immer besser gefallen. Viele berühmte Werke von Tiepolo, Carvaggio, Vasari, Tintoretto und Bellini. Zu manchen Werken finde ich einfach keinen Zugang, während andere wiederum viel stärker auf mich wirken. War zweimal richtig überrascht über meinen (doch 

Accademia: Tintoretto: Rettung eines Sklaven

sehr bescheidenen) Kunstverstand. Beim Anblick zweier Bilder hatte ich mit jeweils gedacht, dass sie in gewisser Weise wie der Stil Michelangelo's aussehen. Beim Lesen der Kurzbeschreibung fand ich dann heraus, dass das eine von Giorgio Vasari (enger Freund Michelangelo's) war und das andere auch unter seinem Einfluß gemalt wurde. Weiter Richtung Rialto. Auf der Piazza San Stefano zufällig bemerkt, dass die gleichnamige Kirche offen war und hineingegangen.

Interessante Kirche mit vielen Seitenaltären, Gemälden und Grabmälern, die mich sehr beeindruckt hat. Hab eine Kerze zu Ehren der Opfer des Terroranschlags in den USA, meiner Familie und meiner Freunde angezündet. Weiter zur Rialtobrücke und mir ein Megaeis gekauft (gleiche Eisdiele wie schon im Juli mit Jo und den Mädels).

Bin dann in einen Teil Venedigs, in dem ich noch nie war. vorbei am Ospedale (Krankenhaus) und mit einigen Umwegen dann zur Basilica SS Giovanni e Paolo, das Santa Croce Venedigs. Von außen (mit Ausnahme der Pforte) recht schmucklos öffnet sich dem Besucher ein atemberaubender Blick, sobald man das Gotteshaus  betritt. In Form eines griechischen Kreuzes mit 2 Säulenreihen, die dem Hauptschiff 

Venedig: San Giovanni E Paolo

noch 2 Seitenschiffe angliedern wandert man von einem Grabmal zum nächsten. Sarkophage an den Wänden, dazwischen Reiterstandbilder, im Boden eingelassene Grabplatten, viele Seitenkapellen und Altäre mit Reliquien verschiedener Heiliger.

Ich gehe andächtig und beeindruckt langsam durch die Kirche, vorbei an den Gräbern von Dogen, Bischöfen und anderen berühmten Venezianern. Ein echtes Highlight von Venedig, die werd ich mir sicher noch einmal anschauen. Vor der Kirche befindet sich das Reiterstandbild von Bartholomeo Colleoni, einem Heerführer, der mehrfach erfolgreich die venezianischen Truppen geleitet hat. Er hatte all seinen Besitz der Stadt Venedig vermacht unter der Bedingung, ein Denkmal auf der Piazza San Marco zu bekommen. Dies wurde allerdings verboten und so steht er heute vor SS Giovanni e Paolo, stolz auf seinem Pferd sitzend. Auch ein guter Platz, wie ich meine.

Bin heute oft durch ganz abgelegene Teile Venedig's gelaufen und habe wieder mal gemerkt, wie sehr mich diese Stadt doch immer noch in ihren Bann zieht. Vielleicht schaff ich es ja mal, im Winter hierher zu kommen. Die triste morbide Stimmung soll dann grandios sein...

Zurück zum Riva degli Schiavoni und auf das Boot nach Punta Sabbioni. Inmitten von schreienden und drängelnden Touristen war ich schnell wieder zurück in der Wirklichkeit. Hatte einen sehr guten Sitzplatz auf dem Boot. Merke jetzt, dass ich ganz schön viel gelaufen bin und außer dem (fantastischen) Eis nix gegessen hab. Freu mich schon auf eine Riesenportion Spaghetti Carbonara.

(c) js - 21.09.2001

 

 Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist